art & development

Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung (6/18/2017)

Zum SZ- Artikel 18. Juli 2017: Haus der Kunst: Verdammt. Was ist nur “im Haus der Kunst in München los”?

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/haus-der-kunst-verdammt-1.3591818

Die Süddeutsche Zeitung ist seit den Panamapapers weltbekannt für ihren herausragenden, inspirierenden investigativen Journalismus. Heribert Prantls Leitartikel sind Orientierung für Menschenrechte und progressive Sozialpolitik. Was zum Teufel veranlasste die SZ-Redaktion,  in einem Artikel zum politisch so wichtigen Haus der Kunst so aus ihrer aufklärerischen Rolle zu fallen?

Am 18. Juli jährte sich der entsetzliche Jahrestag der Eröffnung des damals faschistischen Hauses der deutschen Kunst. Ausgrenzung, Verfemung, Verfolgung von KünstlerInenn begannen damals. Diesen falschen Anfangs gedachte die Direktion des Haus der Kunst mit einer Gedächtnisveranstaltung und einem Symposium zur Instrumentalisierung von Kunst und Architektur im Dritten Reich.

Die SZ dagegen gedachte des Tages mit einem ganzseitigen Artikel, der sich mit Haus-der-Kunst Interna, die zum Teil trivial, zum Teil längst behoben, und zum Teil nicht korrekt sind.

Das Haus der Kunst brilliert seit seiner Befreiung Anfang der 50er Jahre mit demokratischer Kunst und Aufklärung. Okwei Enwezor, Pionier in der progressiven internationalen Kunstszene https://www.wsj.com/articles/how-okwui-enwezor-changed-the-art-world-1410187570 , verdichtet als Direktor im Haus der Kunst seit 2011 Ausstellungen, die sich programmatisch mit systemischer Ausgrenzung, Verfolgung, und Unterdrückung auseinandersetzen.

Auch die Auseinandersetzung  mit der Geschichte des Hauses intensiviert sich in den letzten Jahren zu einer wissenschaftlich fundierten Arbeit, u.a. mit wegweisender Archivforschung der Historikerin Sabine Brantl.  Es ist durchaus „viel los“ im Haus der Kunst.

Diese Trends hätten Thema des Artikels sein können. Das hätte den guten Traditionen der SZ entsprochen.

Gabriele Köhler

Ragini Upadhyay aus Kathmandu zu Gast bei Alex Saemmer, Teppicharchitektur im Lehel (9/26/2013)

 

Ragini Upadhyay ist ein brand name in der Kunstszene Nepals, wo sie seit 30 Jahren als Malerin und Graphikerin tätig ist. Sie ist Urheberin des Künstlerinnenverbandes Wagon (Women Artists’ Group of Nepal) und betreibt seit zwei Jahren eine Druckerei, die sie jungen Graphikern gratis zur Verfügung stellt. Mit bislang 25 Gruppen- und an die 60 Einzelausstellungen rund um die Welt ist sie auch international bei Kunstliebhabern ein rising star.

Ungewöhnlich für das patriarchalische Südnepal, in dem Ragini in den 70er Jahren aufwuchs, hat ihr Vater ihr künstlerisches Talent gefördert und sie auf eine renommierte Kunstakademie im nordindischen Lucknow geschickt. Demgemäss ist eines ihrer frühen Ölgemälde dem Vater gewidmet. Es zeigt die Künstlerin im Bauch eines Elefanten, der sich behäbig einen Weg durch den Dschungel bahnt, begleitet von bellenden Hunden – der Vater hatte ihr den Rat mit auf den Weg gegeben: “Als Künstlerin wirst Du stark sein müssen wie ein Elefant und darfst nicht auf Hundegekläffe achten.”

So ist es gekommen. Ragini thematisiert kritisch und pointiert die Politik in ihrem Heimatland – die Graphikserien Time series und People’s power veröffentlichte sie mutig zu Zeiten des Bürgerkrieges in Nepal, der Tausende von Menschenleben kostete, weil Maoisten und das Königshaus sich nicht friedlich über ihre unterschiedlichen Programmatiken einigen konnten. In ihrer jüngsten Serie Nature speaks weinen die Bäume – ein Fingerzeig auf die fortschreitende Umweltzerstörung in Südasien und in der Welt. – In fröhlicheren Arbeiten feiert sie Innovationen wie Laptops, das Internet und das Handy. Diese revolutionieren die Kommunikation – und ermöglichen autonom-gewählte Beziehungen, die in Nepal traditionellerweise immer noch durch Familie und Kastenzugehörigkeit reglementiert würden – daher die Botschaft Love is in the air – sie schwebt sozusagen durchs Wlan heran.

Ragini ist Symbolistin. Als Hinduistin wohlvertraut mit der komplexen Ikonografie ihrer Religion, spielt sie mit den dialektischen Attributen der Gottheiten, die je nach Lust und Situation weiblich oder männlich, wohlwollend oder grausam auftreten. Sie arbeitet mit dieser Gespaltenheit und Vielschichtigkeit, und erfindet neue Symbiosen. Tiere symbolisieren Eigenschaften oder auch politische Epochen – das Pferd raschen Wechsel und Revolution, die Kuh Langsamkeit, Unbeweglichkeit – oder ihre Heimat Nepal, wo Kühe noch als heilig verehrt werden.

Die Künstlerin thematisiert oft das Potential und die Energie von Frauen. In vielen Arbeiten treten ihre Lieblingsgöttinnen Saraswati, Göttin der Weisheit, und Lakshmi, Göttin des Reichtums, zusammen auf, da Bildung eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg sei. In manchen Graphiken werden die androgynen Göttergestalten Südasiens umgedeutet und stehen in einer völlig neuen Lesart für Gleichberechtigung – wie zum Bespiel in der Graphik Women’s justice aus der Serie People´s power. Ragini spricht oft von der verblüffenden Diskrepanz, dass in Südasiens Pantheon Göttinnen allmächtig sind, im Alltag aber Mädchen und Frauen bis heute unterdrückt und ohne Stimme bleiben. Vielleicht bemalt sie sich deswegen die Stirn jeden Morgen neu mit dem Dreizack – Symbol Shivas – dem mächtigsten Gott des Hinduismus.

1989/90 kam sie das erste Mal nach Deutschland, mit einem DAAD-Stipendium für junge Graphikerinnen. Damals entstand Berlin Wall, das die vielleicht gar nicht so zufälligen Parallelen zwischen dem Fall der Berliner Mauer und der damals neu gewonnen Demokratie in Nepal festhält. Anfang 2013 war Ragini wieder in Berlin und zeigte Bilder zum Thema Nature speaks. Die Münchner Ausstellung gibt nun einen breiteren Einblick in ihr Oeuvre, mit Beispielen aus verschiedenen Graphikserien, Acrylarbeiten, und einigen Exemplare ihrer Thankas. Bei diesen greift Ragini auf Traditionen der Thankamalerei zurück, aber anders als in der tibetisch-buddhistischen Kunstschule bleibt der bespannte Rahmen sichtbar, und man sieht statt abstrakter Meditionsmandalas das eher lasziv-gefasste Thema Love is in the air.

Warum diese Künstlerin in Alexander Saemmers Teppicharchitekturräumen? Viele seiner Teppiche werden in Werkstätten in Nepal geknüpft, kommen also aus dem gleichen Kulturkreis, und benutzen eine verwandte Farb- und Formensprache. Alexander Saemmer besucht oft die Teppichknüpfereien in Bouddha, Kathmandu, und sieht einen starken Bezug zu Raginis Kunst, denn auch Teppiche sind intuitiv schön, aber werden darüber hinaus zu reichem Lesematerial, wenn man die Symbolsprache kennt – wie bei der Wandkunst Ragini Upadhyhays.

Gabriele Köhler, Entwicklungsökonomin und Kuratorin der Ausstellung
München, im Herbst 2013

all images © Ragini Upadhyay

AUSSTELLUNGSORT/DATUM

10. – 16. Oktober 2013

Alexander Saemmer
TEPPICHARCHITEKTUR
Unsöldstrasse 9/11 in 80538 München
U4/5 Station Lehel
Bus 100 Haus der Kunst

Montag – Freitag: 10 – 18 Uhr
Samstag: 10 – 13 Uhr

www.eartsnepal.com/artist/ragini-upadhyay-grela.html
www.ragini-art.com 
ragini-art.blogspot.com 
www.saemmer-teppich.de/hauptnavigation/home 

Representations and juxtapositions (2/28/2013)

The war in Afghanistan as depicted in Germany. By Gabriele Köhler, February 2013  – www.himalmag.com